Wir müssen uns „warm anziehen“

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Die nächsten Monate werden von großen Veränderungen gezeichnet sein. Während wir alle in fast endzeitähnlicher Stimmung den Sommer gefeiert haben, zeichnet sich in vielen Bereichen ein tiefgreifender Wandel ab. Abhängig von der tatsächlichen Entwicklung kann es diesmal auch zu fundamentalen Umbrüchen kommen.

Büro wird niemals mehr so sein wie vor der Pandemie. Das steht fest. In unserer aktuellen Office-Markt-Studie haben wir Immobilien- und Facility-Verantwortliche großer Organisationen befragt, die in Summe 1.350.000 Quadratmeter Bürofläche repräsentieren und für 65.000 Mitarbeiter sprechen. Das Ergebnis ist eindeutig: Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben. Hatten vor Corona gerade einmal 20 Prozent der Mitarbeiter überhaupt die Möglichkeit zu Remote-Arbeit, liegt die Quote jetzt bei 90 Prozent, das Ausmaß bei zwei bis drei Tagen pro Woche. Das Vertrauen in Arbeit und Ergebnisse im Homeoffice ist gestiegen. 86 Prozent der Unternehmen geben an, dass die Produktivität gesteigert werden kann.
Die uns am häufigsten gestellte Frage ist: „Was können wir tun, damit unsere Mitarbeiter wieder gerne und freiwillig ins Büro zurückkommen?“ Die Pandemie hat Kultur sichtbar gemacht. Vom Gallup-Engagement-Index waren wir stets überrascht, wenn wir gelesen haben, dass die hohe emotionale Bindung der Mitarbeiter gerade mal bei zwölf bis 18 Prozent liegt. Menschenleere Büros sind der sichtbare Beweis. Es ist also primär eine Frage der Kultur, aber auch eine des Angebots. Unsere Büroflächen müssen attraktiver werden, zum magnetischen Ort der Begegnung, an dem sich Mitarbeiter zur persönlichen Zusammenarbeit, zum Gespräch und ebenso zur konzentrierten Erarbeitung von Inhalten treffen wollen. Kehren wir doch mal ganz ehrlich vor der eigenen Tür. Sind nicht viele der vor der Pandemie geschaffenen Legebatterien das Gegenteil davon? Wir brauchen jedenfalls viel mehr Flächen für Kollaboration und Kommunikation. Büros werden – nein müssen – also anders aussehen. Aber ist das schon alles?

Büro: Nachfrage steigt – Fläche sinkt
Eine kuriose Situation erleben wir derzeit am Büroimmobilienmarkt. Österreich verfügt über ca. 36 Millionen Quadratmeter Büro. 11,5 Millionen Quadratmeter davon befinden sich in Wien. In Summe rechnen wir für Wien mit einem Rückgang des Flächenbedarfs um 500.000 Quadratmeter, da die neu gestalteten Büros nach der Pandemie, auch bei einer massiven Erhöhung der Kommunikations- und Kollaborationsflächen, aufgrund des Sharings einen geringeren Flächenbedarf haben. Kurios ist allerdings, dass die Nachfrage am Markt größer denn je ist. Inzwischen beschäftigt sich fast jeder Bürobetrieb mit den erforderlichen Veränderungen, lediglich das Angebot ist in viel zu geringem Ausmaß da. Uns fehlen hochqualitative, für New Work ausgestattete, flexible Flächen, die allen Nachhaltigkeitskriterien entsprechen. ESG (Environment, Social, Governance) ist mittlerweile nicht nur in der Finanzwirtschaft das Kernthema. Die Nachfrage nach zertifizierten Immobilien und Büros steigt.

Ist das alles wirklich notwendig?
Ja, es ist notwendig. 83 Prozent aller 14- bis 29-Jährigen wollen nur bei einem Arbeitgeber arbeiten, der Freiheit bei der Gestaltung von Arbeitszeit erlaubt. Zur freien Wahl des Arbeitsorts bekennen sich 73 Prozent. Der Arbeitsmarkt ist zum Arbeitnehmer-Markt geworden. Heute wählen qualifizierte Arbeitskräfte genau aus, für wen und unter welchen Umständen sie überhaupt arbeiten wollen. Das ist für viele noch immer schwer verständlich, aber ich kann Ihnen sagen: Freunden Sie sich mit dieser Tatsache an. Hinzu kommt, dass jetzt langsam die Babyboomer-Generation ins Pensionsalter kommt. Von den meisten Unternehmen höre ich, dass sie in den nächsten zehn Jahren pensionsbedingt ein Drittel ihrer Mitarbeiter verlieren werden, davon betroffen sind nahezu alle Führungskräfte. Und während Sie diese Zeilen lesen, überlegen sich 38 Prozent Ihrer jungen Beschäftigten, den Beruf oder die Branche zu wechseln.

Gesamtwirtschaftliche Auswirkung
Auch wenn wir über den Winter Gaslieferungen aus Russland aufrechterhalten können, wird die steigende Inflation ihre Spuren hinterlassen. Der Konsum geht bereits zurück. Im Wohnbereich werden sich viele Menschen nicht nur die Energiepreise, sondern auch die Mieten und den täglichen Bedarf nicht mehr leisten können. Unser Sozialstaat wird wie immer einspringen, aber das wird nicht spurlos an der Immobilienbranche vorüberziehen. Ohne diese Maßnahmen kommentieren zu wollen, werden wir uns sicherlich mit Mietabschlägen für Gasheizungen oder Mietpreisdeckel auseinandersetzen müssen. Hinzu kommt die Steigerung des Zinsniveaus. Gar nicht auszudenken, was passiert, wenn sich die Energiekrise verschärft – dann heißt es „warm anziehen“!

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Andreas Gnesda,, Geschäftsführer teamgnesda – Foto:© teamgnesda

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