Weiblichkeit bringt Lebensqualität

Schechtner - Foto:© Richard Tanzer

Die Kuratoren Katja Schechtner und Wojciech Czaja geben im Interview Einblick in die Ausstellung „FRAUEN BAUEN STADT“.

Im Rahmen einer Ausstellung holen die Kuratoren Katja Schechtner und Wojciech Czaja 18 Architektinnen, Stadtplanerinnen, Städtebauerinnen, Landschaftsarchitektinnen und Künstlerinnen aus aller Welt vor den Vorhang und präsentieren ihre Projekte und Ideen für die Stadt von morgen.

Bis 15. Oktober wird der Wangari-Maathai-Platz an der U2-Station Seestadt zur Open-Air-Galerie für Ausstellung „FRAUEN BAUEN STADT“.

Was ist der Anlass für diese Ausstellung im öffentlichen Raum?
Katja Schechtner: Im Jahr 2030 werden 2,5 Milliarden Frauen in Städten leben und arbeiten. Und zwar in Städten, die in den allermeisten Fällen von Männern geplant und gebaut wurden. Tatsächlich aber gibt es sowohl in der Geschichte als auch in der Gegenwart große, bedeutende Leistungen von Stadtplanerinnen und Städtebauerinnen.

Gruppe - Foto:© Richard Tanzer
Gruppe – Foto:© Richard Tanzer


Was machen Frauen anders bei der Stadtplanung? Welche Schwerpunkte setzen sie?
Wojciech Czaja: Wir beobachten, dass die Schwerpunkte breiter gestreut sind. Die Stadt, wie wir sie kennen, ist eine männliche. Jahrhundertelang wurde Stadt männlich betrachtet und von Männern beauftragt, konzipiert, geplant und ausgeführt. Und in dieser maskulinen Stadt sind wir alle aufgewachsen.

Aber es gibt auch weibliche Beiträge zur Stadtplanung. Wir blicken in der Ausstellung bis zu 150 Jahre zurück. Und stellen fest, dass sich Frauen immer stärker in der Stadtplanung einbringen und die Themen breiter werden. Der öffentliche Raum zwischen den Häusern ist nicht nur dazu da, um möglichst schnell von A nach B zu kommen, sondern auch ein Ort mit Aufenthaltsqualität: zum Sitzen, zum Spazieren, zum Radeln, zum Liegen oder zum Schwimmen wie etwa hier in der Seestadt.

Sind Frauen für die Qualität einer Stadt und damit auch Lebensqualität verantwortlich?
Schechtner: Es ist ein anderer Blick, eine andere Wahrnehmung, den Frauen auf oder von einer Stadt haben. Und dieser ist breiter und vielfältiger. Daher kommen neue Aspekte in die räumliche Qualität einer Stadt hinein. Der öffentliche Raum wird als Aufenthalts-, als Nutzungs-, als Lebensraum verstanden.

Reagieren Frauen rascher auf Entwicklungen wie etwa den Klimawandel?
Schechtner: Es ist tatsächlich so, dass die Bedürfnisse, die Frauen wahrnehmen, wie Rumsitzen, Ausrasten, Feiern etc., wahnsinnig gut zusammenpassen mit den Entwicklungen im Bereich des Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit. Denn dort, wo ich mich ausraste, hätte ich gerne Schatten, möchte ich Bäume pflanzen, ist es ruhiger. Die ganzen sensorischen Qualitäten finden Berücksichtigung. Wenn wir uns die Räume und Plätze von Frauen anschauen, dann wird stark damit gearbeitet, wie es sich anfühlt, anhört, wie es riecht. Zum Beispiel kommen immer öfter weichere Bodenbeläge zum Einsatz.

Warum haben Sie gerade diese 18 Frauen ausgewählt?
Czaja: Weil diese Frauen die heutige Stadt geprägt, gestaltet und maßgeblich beeinflusst haben. In manchen Fällen sind die Arbeiten der gestaltenden Frauen weit bekannt, ja sogar weltberühmt. In manchen Fällen werden die Namen der Frauen neben ihren männlichen Kollegen in der Öffentlichkeit schlichtweg ausgeblendet. Und in manchen Fällen sind die Frauen in Vergessenheit geraten und ihre Werke in den Archiven unter den Zahnrädern der Zeit verschwunden. Es war unsere Leistung, noch Fotos oder Originalzitate zu finden.

Was zeichnet die Frauen aus?
Schechtner: Ihre Beiträge reichen von kleinen Impulsen, die Auswirkung auf unseren städtischen Lebensalltag haben, über Brücken, Plätze und Parklandschaften bis hin zu Planungen für Stadterweiterungsgebiete und ganze Städte – vom Aspernsee hier nebenan über die Brooklyn Bridge in New York bis zur australischen Hauptstadt Canberra, die maßgeblich von einer Frau geplant wurde: Marion Mahony Griffin. Aber alle Pläne laufen unter dem Namen ihres Mannes Walter Burley Griffin.

Warum ist die Brooklyn Bridge ein so gutes Beispiel?
Czaja: Die Brooklyn Bridge ist 1883 eröffnet worden. Bei der Errichtung wurden neue technische Errungenschaften berücksichtigt wie etwa Stahlglocken, die den Bauarbeitern das Arbeiten unter Wasser ermöglichten. Washington Roebling, der Bauplaner, erkrankte schwer an der Taucherkrankheit, weshalb Emily Warren Roebling als Bauingenieurin einsprang und das gesamte Bauwerk fertigstellte.

Wieso werden Frauen in der Stadtplanung nicht gesehen?
Czaja: Ich denke, man muss das in einem geschichtlichen Kontext sehen. Männer durften schon viel früher studieren als Frauen. Und die Bereiche Architektur, Stadtplanung und Ingenieursbau waren lange Zeit klischeehaft männlich geprägt.

Gibt es eine Frau, die von Wien aus die Welt erobert hat?
Czaja: Das schönste Beispiel ist wohl das Stadtmöbel „Enzi“, das wir auch aus dem Museumsquartier hier in die Ausstellung geholt haben. Anna Popelka hat mit einem einzigen Stadtmöbel nicht nur Wien, sondern viele andere Städte wie Moskau oder Tirana mitgeprägt.

Gruppe – Foto:© Richard Tanzer

Wo sieht man weibliche Stadtplanung in der Seestadt?
Schechtner: Die dänische Architektin Helle Søholt hat etwa die Partitur des öffentlichen Raums für die Seestadt gemacht. Die Menschen und ihre Fußwege sollen ins Zentrum der Planung rücken. So wurden etwa Wellen für Kinder und Skater in öffentlichen Wegen eingebaut. Anna Popelka hat einen Wohnbau geplant. Und nicht vergessen dürfen wir auf Laura Vahl, die den See so wunderbar gestaltet hat. Dieser sollte in der ursprünglichen Idee gar nicht benutzt werden.

Wie viel Weiblichkeit wird die Stadt von morgen bieten?
Schechtner: Viel mehr als heute. Wenn die vielfältigen Ansprüche der Natur, der Lebenswelten in der Freiraumgestaltung berücksichtigt werden, wird die Lebensqualität einer Stadt gesteigert. Wir kennen die Männer auch als schwach und müde und trauen uns dann auch, dafür den öffentlichen Raum zu bauen, etwa mit einer Bank zum Ausrasten. Frauen können auch zunehmend als Investorinnen auftreten und dann so bauen, wie sie es wollen.

Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt zwischen der Entwicklungsgesellschaft Wien 3420 aspern Development AG und der IBA_Wien 2022.

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