Tobias Kassner (bei GARBE Industrial GmbH & Co. KG über steigende Leerstände, strategische Neuausrichtungen und Chancen für Österreich.
Der europäische Logistikimmobilienmarkt hat nach Jahren des Booms einen Punkt erreicht, an dem Euphorie nüchterner Marktanalyse weicht. „Wir befinden uns in einem Trogtal – keine Krise, aber auch kein Umfeld, in dem sich schnelle Gewinne realisieren lassen“, sagte Tobias Kassner, Leiter Research und ESG bei GARBE Industrial GmbH & Co. KG, bei einem Interview mit immobilien investment im Nachgang der Expo Real.
Früher sei viel gekauft worden, weil der Zeitpunkt „vermeintlich günstig“ erschien. Heute sei der Markt deutlich realistischer. „Das Trogtal ist kein guter Zeitpunkt zum Verkaufen. Aber es ist ein Umfeld, in dem sich Werte langfristig sichern und strategisch entwickeln lassen“, so Kassner. Die geopolitischen Spannungen und die konjunkturelle Abkühlung wirken sich spürbar auf den Markt aus. Viele Logistikobjekte, die während der Vollkonjunktur geplant und errichtet wurden, stoßen nun auf eine verhaltenere Nachfrage. „In einigen Märkten wurde schlicht zu viel Produkt geschaffen. Die Vermarktung dauert länger, die Leerstände steigen“, erklärte Kassner.
Besonders deutlich ist dieser Trend bei Neubauprojekten, die in der Phase der extrem niedrigen Leerstände – bis 2022– entwickelt wurden. „Damals war der Markt leergefegt, jetzt haben wir eine gesunde Normalisierung. Leerstand ist schmerzhaft für manche Entwickler, aber regional differenziert und derzeit grundsätzlich nicht mehr als durchschnittlich“, sagte Kassner.

Einen echten Nachfrageimpuls erwartet Kassner aus zwei Richtungen: Verteidigung und E-Commerce. Während der Onlinehandel nach Jahren des Wachstums einen Reifegrad erreicht hat, entstehe durch sicherheitspolitische Entwicklungen ein neuer struktureller Bedarf. „Zwei bis drei Jahrzehnte lang wurde die Verteidigung in Europa zurückgefahren. Jetzt sehen wir das Gegenteil: neue Standorte, neue Anforderungen, neue Partnerschaften zwischen Verteidigungsindustrie und institutionellen Immobilienunternehmen “, so Kassner. Der Flächenbedarf aus dem Defense-Bereich werde in Europa auf 2,2 bis 3,8 Millionen Quadratmeter geschätzt. Diese Treiber können die sinkende Nachfrage von z.B. Automotiv und Kontraktlogistik nicht vollständig kompensieren, setze aber langfristig starke Impulse.
Für Österreich sieht Kassner interessante Perspektiven: „Österreich war lange Transitland, birgt jedoch Potential jetzt als Standort strategisch relevanter zu werden.“ Die Verschiebung globaler Lieferketten und die sicherheitspolitische Neuausrichtung Europas rücken Standorte im Hinterland der Adriahäfen in den Fokus. „Die Adria könnte zum Einfallstor für Warenströme werden. Österreich profitiert als logistisches Hinterland mit guter Anbindung“, so Kassner. Unternehmen mit sicherheitsrelevanter Produktion – etwa Hersteller von Drohnenabwehrsystemen – prüfen bereits neue Standorte in Österreich, so Kassner.
Parallel dazu bleibe E-Commerce ein wichtiger Treiber. „Der außergewöhnliche Boom hat sich zum normalen Wachstumskurs entwickelt, aber ist weiterhin stark expansiv ausgerichtet. E-Commerce-Flächen werden weiterhin gebraucht – nur differenzierter und selektiver“, erklärte Kassner, der eine starke Nachfrage nunmehr auch von chinesischen Onlineplattformen beobachtet.
Auch Investoren müssen umdenken. „Manage to core“ lautet laut Kassner die Strategie: „Entweder selbst entwickeln oder Bestände mit Schwierigkeiten gezielt repositionieren.“Die Steigerung der Wertveränderungsrendite ist durch eine gute Cashflowrendite aus der laufenden Performance einer Immobilie abgelöst worden. Hier ist aktives Assetmanagement eine elementare Komponente.. Ein zentrales Thema bleibt ESG. „ESG ist keineswegs tot. Wir arbeiten an den Objekten – nicht nur auf Papier“, betonte Kassner. Die zunehmende Häufigkeit von Extremwetterereignissen mache nachhaltige Bau- und Betriebsstandards relevanter denn je.
Trotz der Abkühlung sieht Garbe stabile Fundamentaldaten. Die Mieten bleiben im europäischen Durchschnitt auf moderatem Wachstumspfad. Für die kommenden Jahre prognostiziert das Unternehmen laut GARBE PYRAMID-Map eine jährliche Mietsteigerung von rund 1,9 Prozent. „Wir sehen keine Krise, sondern einen Markt, der sich neu sortiert“, so Kassner. „Defense, E-Commerce und die Reorganisation der Lieferketten eröffnen Chancen – aber nicht für jeden und nicht überall. Wer jetzt klug positioniert ist, kann langfristig profitieren.“