Die COVID-19-Pandemie hat die Arbeitswelt nachhaltig verändert, und dies spiegelt sich auch in der Immobilienbranche wider. Homeoffice und hybride Arbeitsmodelle sind nicht mehr wegzudenken. Gleichzeitig gewinnt das Thema Nachhaltigkeit, insbesondere ESG (Environmental, Social, Governance), an entscheidender Bedeutung. Der 16. Internationale Facility Management Kongress an der TU Wien beleuchtete diese Entwicklungen und die damit verbundenen Chancen für die Branche.
Die Branche steht vor Herausforderungen, insbesondere durch höhere Zinsen und gestiegene Baukosten. Dennoch können sich inmitten des Wandels auch neue Chancen eröffnen. Der IFM Kongress an der TU Wien bot diesbezüglich einen wertvollen Einblick in die aktuellen Trends und zeigte Wege auf, wie die Immobilienbranche diese Herausforderungen meistern und die Chancen des Wandels nutzen kann.
Bereits vor drei Jahren prophezeite Alex Redlein, Leiter der Forschungsgruppe Facility Management an der TU Wien, auf dem Kongress eine Reduzierung von Büroflächen und neue Anforderungen an deren Qualität. Diese Vorhersagen haben sich nun bewahrheitet, wie auch andere Studien bestätigen. Stefan Wolter, Head of Global Real Estate Management bei thyssenkrupp, setzt in dem Zusammenhang auf Activity-Based-Working und die Verschmelzung von Büro- und Homeoffice-Welten. Die Attraktivität von Arbeitgebern werde zukünftig maßgeblich von Angeboten zum „hybriden Arbeiten“ beeinflusst. Studien der TU Wien würden diese Ansätze untermauern. Langzeitstudien zu Arbeitsplatzstrategien von Top- und Middle-Management verdeutlichen die Forderung des Middle-Managements nach neuen Arbeitswelten und dezentralen Bürostandorten, wie Satelliten Office-Standorten oder Co-Working Spaces. Dieser Wandel soll nicht nur das Employer Branding stärken, sondern auch die Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung fördern. Die Studien zeigen zudem ein Umdenken bei Managerinnen, die verstärkt die Ausstattung des Homeoffice finanziell unterstützen, um effizientes Arbeiten zu begünstigen und das Wohlbefinden der Mitarbeiterinnen auch im Homeoffice sicherzustellen. Dieses Umdenken markiert einen weiteren Schritt in Richtung einer flexiblen und Mitarbeiterzentrierten Arbeitskultur.
Ein weiteres zentrales Thema des Kongresses war ESG. Andrej Grieb, Richter am Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien, gab detaillierte Einblicke in den rechtlichen Hintergrund, der mitunter sehr komplex sein kann und betonte die Herausforderung, eine Trennung zwischen Zivilrecht und Sachenrecht herzustellen. Die EU-Taxonomie lege fest, welche Aktivitäten als nachhaltig gelten und welche Kriterien erfüllt sein müssen. Gebäudezertifikate können dabei als Nachweis dienen. Unternehmen müssen zudem erweiterte nicht-finanzielle Berichte im Bereich Nachhaltigkeit erstellen. Die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) geben hier relevante Kennzahlen vor, wie Energieverbrauch, CO2-Ausstoß und Mitarbeiterindizes.
Ulrike Gehmacher, Leiterin Group ESG Office bei der Erste Group, betonte, dass ESG nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung ist, sondern auch eine Chance für Unternehmen darstellt, sich zu differenzieren, Mitarbeiter und Kunden zu gewinnen und zukünftige Finanzierungen zu sichern. Die Green Asset Ratio Rate wird dafür sorgen, dass nur nachhaltige Investitionen und Unternehmen Kredite erhalten. Das bedeutet, dass ein nicht nachhaltiges Geschäftsmodell eines Kreditnehmers, oder der Wert von nicht energieeffizienten Immobiliensicherheiten, im Rahmen der Kreditvergabe negativ berücksichtigt werden wird. Es sei zu befürchten, dass in Zukunft nicht nachhaltigen Projekte oder Unternehmen nicht mehr oder zu wesentlich höheren Kosten finanziert werden. Daher stellt eine effiziente Umsetzung der ESG-Reporting-Pflichten nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung dar, sondern können helfen rascher und einfacher Finanzierungen zu erhalten und sich zu differenzieren. Das sei besonders für Immobilien-Developer und Immobilieneigentümer ein wesentliches Thema.
Bernd Hanke, Leiter Facility Management der Deutschen Bahn, präsentierte praktische Beispiele, wie bis 2040 CO2-Neutralität erreicht und die Kreislaufwirtschaft effizient umgesetzt werden kann. Die Zeitleiste sei herausfordernd, da die DB bis 2038 nur mehr Grünstrom verwenden, 2040 ein vollständig klimaneutrales Unternehmen sein und Kreislaufwirtschaft zu diesem Zeitpunkt zu 100 Prozent umsetzen wollen. Bernd Hanke betonte neben der ökologischen vor allem die soziale und unternehmerische Verantwortung. Um die Ziele zu erreichen, bewertet er die bekannten Maßnahmen und erstellte einen Maßnahmenkatalog mit rund 200 Aktivitäten. Beispiele sind bekannte Bereiche wie die Optimierung der Gebäudetechnik, oder neue Methoden in der Wartung: „Predictive Maintainance ist uns dabei behilflich“, so Bernd Hanke. Dazu kommen noch der Ausbau von PV-Anlagen und der nachhaltige Umgang mit Bauabfällen sowie Dachbegrünungen.
Harald Hauke, Vorstandssprecher der Altstoff Recycling Austria (ARA), erklärte in seinem Ausblick, dass die Kreislaufwirtschaft das nächste große Thema für die Immobilienbranche wird. Diese Entwicklung verdeutlicht den Wandel in der Branche, weg von herkömmlichen Ansätzen hin zu nachhaltigeren Praktiken. Neben den bekannten Zielen der ESG wird die Kreislaufwirtschaft in den nächsten Jahren ein bedeutender Fokus der EU. Die Kreislaufwirtschaft ist schon in den ESRS-Kriterien enthalten. Zusätzlich zählt die Branche „Bauwirtschaft und Gebäude“ im EU-Aktionsplan KLW 2020 zu den Bereichen, in denen die meisten Ressourcen genutzt werden. Derzeit liegt der Fokus auf der Planungs- und Ausschreibungsphase als großer Hebel für die KLW am Bau.
Gefragt sind auch innovative Lösungen im derzeitigen Zins- und Finanzumfeld, so Valentin Hofstätter, Leiter Marktstrategie bei der Raiffeisen Bank International (RBI): Während die Gas- und Ölpreise im Großhandel wieder unter dem Vorkriegsniveau sind und auch die Inflation weiter zurückgeht, erwartet er eine Rezession und gegebenenfalls auch Herausforderungen im Immobilienbereich, wie eine teilweise Neubewertung einiger Immobilien.