Nachhaltigkeit ist längst kein Nischenthema mehr. Kaum ein Fachartikel, keine Marktstudie, keine Konferenz, die nicht die Wichtigkeit von ESG-Kriterien, Dekarbonisierung oder Energieeffizienz betont. Doch wer den Blick vom Papier hebt und auf den Markt richtet, stellt fest: Vieles bleibt bislang Rhetorik – greifbare Fortschritte sind rar. Ein Kommentar von Isabella Reinberg von Reinberg & Partner.
Nachhaltigkeit ist längst kein Nischenthema mehr. Kaum ein Fachartikel, keine Marktstudie, keine Konferenz, die nicht die Wichtigkeit von ESG-Kriterien, Dekarbonisierung oder Energieeffizienz betont. Doch wer den Blick vom Papier hebt und auf den Markt richtet, stellt fest: Vieles bleibt bislang Rhetorik – greifbare Fortschritte sind rar.
Der Begriff „Nachhaltigkeit“ wird in der Immobilienwirtschaft vielfach in erster Linie mit Klimaschutz assoziiert. Ohne Zweifel bleibt die Reduktion von CO₂-Emissionen eine zentrale Aufgabe. Zugleich wird jedoch immer deutlicher, dass das Thema breiter gefasst werden sollte. Aspekte wie Energieautarkie, Versorgungssicherheit, ein verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen oder auch soziale Stabilität gewinnen zunehmend an Bedeutung. Eine Immobilie, die heute den gängigen Nachhaltigkeitskriterien entspricht, kann in Zukunft dennoch vor neuen Herausforderungen stehen – etwa durch veränderte Baukosten, Anpassungen im Förderrahmen oder geopolitische Entwicklungen.
Der Markt reagiert auf diese Vielschichtigkeit bislang zögerlich. Zwar erscheinen derzeit zahlreiche Leitfäden und Handbücher, die Anspruch erheben, Orientierung zu geben. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch häufig, dass sie in ihrer Ausgestaltung eher allgemein gehalten sind und nur begrenzt konkrete Handlungsanweisungen für die Praxis liefern. Besonders in der Immobilienbewertung führt dies zu einer gewissen Unschärfe: Leitfäden, die ohne klar definierte Bewertungsparameter auskommen, bieten zwar wertvolle Anregungen, bleiben in der praktischen Anwendung jedoch oftmals abstrakt. Sie spiegeln damit weniger eine fertige Methodik wider als vielmehr den aktuellen Stand einer noch laufenden Diskussion.
Dabei wäre gerade jetzt Verlässlichkeit gefragt. Investoren, Eigentümer und Kreditgeber stehen vor der Frage, welche Faktoren den Wert einer Immobilie tatsächlich beeinflussen werden – heute und in Zukunft. Reichen energetische Kennzahlen aus? Wie lassen sich geopolitische Risiken oder Versorgungsthemen in eine Bewertungsmethodik übersetzen? Welche Rolle spielen die Erwartungen der Nutzer, die zunehmend nach resilienten, flexiblen und kostensicheren Immobilien verlangen? Antworten darauf sind dringend notwendig, doch bislang bleibt der Markt in einer Art Schwebezustand.
Das Resultat ist eine paradoxe Situation: Während das Thema Nachhaltigkeit omnipräsent ist, herrscht in der praktischen Umsetzung Stillstand. Es wird viel publiziert, doch wenig umgesetzt. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität wächst – und mit ihr das Risiko, dass Nachhaltigkeit zu einem reinen Schlagwort verkommt, statt zu einem belastbaren Qualitätsmerkmal für Immobilien.
Die eigentliche Herausforderung liegt also nicht darin, neue Schlagzeilen zu produzieren. Sie besteht darin, das Thema Nachhaltigkeit in seiner ganzen Breite ernst zu nehmen und Bewertungsgrundlagen zu schaffen, die dem Markt Orientierung bieten. Nur wenn Nachhaltigkeit konkret, messbar und nachvollziehbar in die Immobilienwirtschaft integriert wird, kann aus den vielen Worten auch echte Wirkung entstehen.