ÖRAG: Neues Marktumfeld bringt Chancen

Der ÖRAG-Vorstand gab heute Vormittag einen Aus- und Einblick in die aktuelle Lage der Immobilienwirtschaft. Foto: Wien Tourismus/Rigeaud

Das lange Niedrigzinsumfeld hat enorme Risiken aufgebaut. ÖRAG schätzt, dass das Zinsniveau nach den Zinsschritten auf dem Niveau stabil bleiben.

Es ist nicht die Höhe der Zinsen an sich, das die aktuellen Herausforderungen am österreichischen Immobilienmarkt geschaffen hat, sondern der extrem schnelle Anstieg. Im Rahmen einer Pressekonferenz der ÖRAG heute Vormittag sieht der Vorstand des Unternehmens nicht nur eine Krise, sondern auch Chancen. Laut Einschätzung von Stefan Brezovich, Vorstand der ÖRAG, habe die EZB mit Zinsanhebungen zu lange zugewartet, weswegen der Zinsanstieg wesentlich schneller als im Rahmen üblicher Zyklen vollzogen worden ist – und nach wie vor anhält. „Dadurch haben sich enorme Risiken aufgebaut, Geld war lange nichts wert und jetzt müssen viele am Markt die Konsequenzen tragen.“ Das hat sich entsprechend negativ auf den Immobilienmarkt ausgewirkt, der nun eine Korrektur erfährt – „diese mag zwar schmerzhaft für einige sein, danach gesundet man aber wieder“, zieht Brezovich einen Vergleich mit der Rehabilitationsphase nach einer Erkrankung.

Markt wird bei Zinssicherheit wieder anlaufen
Konkret bedeutet das, so Brezovich, dass jene, die im Vorfeld zu viel Risiko auf sich genommen haben, vom Markt verschwinden werden, allerdings werde der Transaktionsmarkt wieder anlaufen, sobald wieder eine Zinssicherheit herrscht. Haben die Zinsschritte ihr Ende gefunden, werden sie auch stabil auf dem Niveau verharren, mit Zinssenkungen rechnet Brezovich nicht. Für Immobilien bedeutet das, dass sollte es einen Kunjunkturabschwung geben, würde man es zwar in den Assetklassen Büro und Einzelhandel merken – gerade im Bürosektor werde dies aber durch die historisch geringe Leerstandsrate abgefedert. Mittlerweile seien auch verstärkt eigenkapitalstarke Investoren zunehmend aktiv, wenngleich auch die auf Zinsklarheit hoffen.

Aktuell Pattsituation
Laut Herbert Petz, Teamleiter der Investment-Abteilung bei ÖRAG, befinde sich der Investmentmarkt aktuell in einer Pattsituation. Entwickler haben derzeit mit der Bedienung der Zinsen zu kämpfen, institutionelle Investoren – vor allem offene Fonds – mit Mittelabflüssen. Es sei, so Petz, demnach nach wie vor viel Geld am Markt, vor allem All Equity-Investoren warten mittlerweile auf Notverkäufe – die allerdings noch nicht eingetreten sind. Generell tue sich etwas auf der Käuferseite. Petz: „Es gibt mittlerweile Produkte am Markt, die zuvor nicht am Markt gewesen sind. Lediglich die Geschwindigkeit der Zinsanhebung habe zu einer gewissen Ohnmacht bzw. Unsicherheit am Markt geführt. Doch sobald sich die Zinslandschaft wieder stabilisiert hat, können Investoren wieder besser kalkulieren – und damit läuft der Markt auch wieder an.“

Kritik übt Petz an der in Österreich überschießenden KIM-Verordnung. Diese habe auch Auswirkungen auf den Investmentmarkt, denn ohne Finanzierung „laufe nichts“. Geld sei ja hier, aber die Hürden seien zu hoch, so Petz, der bei Transaktionsverhandlungen zwar viele konkrete Interessensbekundungen beobachtet hat, die potenziellen Käufer aber eben wegen der Finanzierungsproblematik abspringen würden. Ebenso kritiesiert er die schleppenden Baugenehmigungen, die nicht nur Projekte erheblich verzögern, sondern auch viel Geld kosten würden.

Hervorragende Opportunitäten
ÖRAG-Vorstand Johannes Endl sagt, dass man sich zwar im Auge eines perfekten Sturms befindet, doch dieser dürfe den Blick nicht vernebeln, dass es jetzt auch viele Chancen am Markt gibt. Langfristig betrachtet werden Immobilien immer wertvoll sein. Das gelte derzeit vor allem für Büroimmobilien, da einerseits der Run auf gute Produkte so stark ist, dass der Leerstand mittlerweile nahezu verschwindend gering ist. Hinzu kommt, dass derzeit die Pipeline abgerissen ist, weswegen es in zwei bis drei Jahren „eine ordentliche Lücke“ bei Büroflächen geben wird. „Damit haben gute Objekte im Ankauf entsprechend sehr gute Aussichten“, so Endl. Zunehmend treten auch Stiftungen in den Markt ein, die zuvor der Geschwindigkeit am Markt nicht folgen konnten oder vielleicht einen zu konservativen Investmentansatz verfolgt haben: „Für diese Investorengruppe bieten sich jetzt hervorragende Chancen.“ Denn die Preishöchststände von 2021, die sind Geschichte, so Endl.

Preiskorrekturen
Laut ÖRAG-Vorstand Michael Buchmeier sei die Bewertungssituation „schon lustiger gewesen“. Die Bewertungsabteilung sehe sich aktuell sehr vielen Gesprächen konfrontiert, auch kritische seien dabei, da die Abwertungen bei Immobilien nicht nur für generelle Unsicherheit sorge, sondern mancherorts auch für Unverständnis. Allerdings seien die gegenwärtigen Abwertungen eine zwingende Folge der nach wie vor zu hohen Baukosten. Zudem seien die Bewertungen für das Jahr 2021 nur eine Momentaufnahme respektive ein Blick in die Vergangenheit gewesen – denn ändern sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, dann hat das auch entsprechende Auswirkungen auf die Einpreisung von Immobilien. Generell gehen die Immobilienwerte nach unten, allerdings nicht flächendeckend, bei sehr guten Objekten in sehr guten Lagen seien überhaupt keine Wertverluste zu verzeichnen gewesen, so Buchmeier, der die Range bei den Preiskorrekturen zwischen Null und 30 Prozent beziffert. Man geht aber davon aus, dass sich die Baukosten wieder auf ein gesundes Niveau einpendeln werden. Wichtig wäre jedenfalls, dass ein Zinsplateau erreicht würde. „Die Höhe ist dabei nicht so entscheidend, sondern die Kalkulationssicherheit“, so Buchmeier.

Wohnungsmarkt war überhitzt
Jelena Pirker, Abteilungsleiterin Wohnimmobilien Eigentum bei ÖRAG, hat in den Zeiten vor der Zinswende gar eine Überhitzung des Wohnungsmarkts verzeichnet, nun sei eine rapide Abkühlung erfolgt. Die Anfragen seien um zwischen 60 und 70 Prozent eingebrochen, beim Rest würde es sich aber um viel qualifiziertere Anfragen halten, die auch in Abschlüssen resultieren. Neben der Zinserhöhungen stelle auch die KIM-Verordnung einen wesentlichen Faktor für die aktuelle Unsicherheit dar. Aufgrund dessen sei das Bauträgergeschäft „aktuell lahmgelegt“, so Pirker. Projekte, die noch einer Baugenehmigung harren, würden wesentlich schwieriger verkauft werden, da viele auch das Risiko als zu hoch betrachten. Überdies hätten die Eigentumspreise in den vergangenen 10 Jahren einen rasanten Anstieg erlebt, weswegen in Kombination zur KIM-Verordnung für viele die Auswahl nach der passenden Wohnimmobilie sehr gering sei. Vor allem würden die Menschen nach einem gewissen Wohnkomfort respektive Amenities suchen, die mit einem einzelnen Kauf einer Wohnung so nicht realisierbar seien. Demnach gewinnen Third Places in Wohnprojekten – etwa Fitness-, Wellness- oder Hobbyräume mehr an Bedeutung.

Mietbereich profitiert
Da der Eigentumsmarkt derzeit sehr verhalten ist, profitiert der Mietmarkt, sagt Aleksandra Mitrovic, Abteilungsleitung Wohnen Miete bei ÖRAG. Vor allem größere Wohnungen zwischen drei und vier Zimmer seien derzeit massiv gefragt, jedoch herrscht gerade dort eine akute Knappheit. Auch habe es eine Verlagerung hinsichtlich der Verwertung bei Wohnprojekten gegeben. Vor zwei Jahren waren komplette Vollverwertungen bis zur Fertigstellung eher selten, mittlerweile ortet Mitrovic immer öfter eine Vollverwertung, ehe die Immobilie fertiggestellt worden ist.

Gewerbe erholt sich größtenteils
Der Schock durch die Coronapandemie sieht Elisa Stadlinger, Abteilungsleitung Gewerbe bei ÖRAG, jedenfalls zum größten Teil überwunden. Prognosen, wonach Homeoffice das klassische Büro verdrängt respektive der Onlinehandel den stationären Einzelhandel ausbremsen würde, haben sich nicht bestätigt, im Gegenteil. Da gerade im Bürosektor ein Verdrängungswettbewerb in Richtung moderne und ESG-konforme Objekte stattfindet, sind hier auch steigende Mieten zu beobachten, die allerdings nach wie vor weit unter vielen europäischen Metropolen liegen. Auch Retail habe sich erholt, vor allem der Luxusmarkt in Top-Lagen funktioniere derzeit „sehr gut“, so Stadlinger. In nachgelagerten Lagen sei eine Tendenz zu neuartigen Einzelhandelskonzepten zu beobachten, in manchen Lagen setze sogar wieder ein gewisser Boom ein. Diesen gibt es vor allem auch bei Logistikimmobilien, wo es nahezu keinen Leerstand gebe und Flächen zumeist weit vor Fertigstellung absorbiert werden können.

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