Die Pandemie macht Bruchstellen im Retailbereich sichtbar: Mieter und Betreiber sind ebenso verunsichert wie Investoren.
Die Assetklasse Retail steht europaweit unter einem gewaltigen Restrukturierungsdruck. Zwar hat sich der aktuelle Trend schon seit Jahren abgezeichnet, allerdings wurde er bis März 2020 durch die sehr gute konjunkturelle Situation in den letzten Jahren überdeckt.
Die Pandemie wirkt wie ein Katalysator für eine Krise, die sich durch die Onlinekonkurrenz, das Kaufhaussterben und verändertes Einkaufsverhalten bereits abgezeichnet hat. Für den Einzelhandel gilt es nach der akuten Schockbewältigung der Jahre 2020 und 2021, sich in der neuen Welt zurechtzufinden. Tatsache ist: Der Onlinehandel hat 2020 im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 20 Prozent erfahren. Währenddessen hat der stationäre Handel ein Minus von 30 Prozent im selben Zeitraum verzeichnet.
Neue Konzepte
Handelszonen werden komprimierter und konzentrierter, Flächen verkleinert und bereinigt. Große bisher an den Ausfallstraßen gelegene Einzelhändler kommen mit neuen Konzepten in die Innenstadt. Kreative Ideen im Einzelhandel poppen an allen Ecken auf. Der Online-Lebensmittelladen drängt immer mehr in die Städte. Vorerst werden noch weniger frische Waren, dafür aber andere Güter des täglichen Lebens angeboten. Gesucht werden Flächen bis 500 Quadratmeter, die mehr der Logistik denn der Präsentation dienen.
Noch nicht prognostizierbar sind die Tragfähigkeit und Nachhaltigkeit von vielen dieser neuen Konzepte. Damit sind die Vermieter einer enormen Unsicherheit ausgesetzt. Da eine reine Abrechnung der Mieten über Quadratmeter oder Umsatz im Geschäft nicht mehr zeitgemäß ist, werden Investoren, Betreiber und Mieter neue Wege finden müssen, um zu einem gemeinsamen befriedigenden Ergebnis zu kommen – eine Herausforderung, die es zu meistern gilt.
Flächen anders nutzen
Es ist zu erwarten, dass der Einzelhandel und die Shoppingmalls die High Streets nicht mehr dominieren werden. Neben dem klassischen „Shopping“ wird es immer mehr „urbane Funktionen“ im Sinne der stadtplanerischen Perspektive geben müssen – etwa Kindergärten, Schulen, soziale Angebote, kommunale Infrastruktur. Je nach Handelszone wird es verschiedene Fokussierungen geben – vom Nahversorger bis zur Gastronomie. Die überregionalen Shoppingmalls bieten jetzt schon sehr viel mehr als nur Einzelhandel, z. B. mit Ärztezentren, Fitnesscentern, Dependancen staatsnaher Betriebe oder wie zuletzt SES SPAR European Shopping Centers mit einer Ausstellung des Kunsthistorischen Museums Wien.
Auch die Investoren sind in der aktuellen Situation nicht zu beneiden. Die Frage, wo investiert wird, ist mehr denn je eine Frage der inneren Struktur des Einzelhandelsobjekts und wie sich dieses am Markt positioniert. Weiters wichtig: die jeweilige Verankerung der einzelnen Shops im Onlinehandel. Damit wird auch die Komponente des Umsatzes schlagend. In Zukunft kauft man dann vielleicht nicht mehr nur die Shoppingfläche, sondern deren Konzept und Mieterbindung gleich mit.