EU vor neuer Insolvenzwelle: Handel und Baugewerbe besonders betroffen

Der Handel und die Bauwirtschaft sind stark unter Druck. Dort waren europaweit die meisten Insolvenzen zu verzeichnen. Foto: pixabay.com

Creditreform: Vor allem im Handel und Baugewerbe stiegen die Insolvenzen zweistellig.

Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Westeuropa verzeichnete im Jahr 2023 einen deutlichen Anstieg. Laut einer Untersuchung der Creditreform Wirtschaftsforschung wurden insgesamt 169.496 Insolvenzfälle registriert, was einem Anstieg von 20,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung, kommentiert: „Das Insolvenzgeschehen im vergangenen Jahr stand im Zeichen der Rezession. Inflation, Zinsen, Energiekosten und auch die Nachwehen von Corona haben viele Unternehmen massiv belastet. Jetzt sehen wir die Auswirkungen auch deutlich in den Zahlen.“

Besonders stark war der Anstieg der Insolvenzen im Handel (plus 24,8 Prozent) und im Bausektor (plus 21,7 Prozent). „Mit mehr als 68.000 Insolvenzen allein im Dienstleistungsgewerbe und gut 52.000 Fällen im Handel wird das Insolvenzgeschehen in Europa vorrangig von diesen beiden Wirtschaftssektoren geprägt“, erklärt Gerhard Weinhofer, Geschäftsführer von Creditreform Österreich, der vor allem die Konsumzurückhaltung im Zuge der Inflation und das hohe Zinsniveau ins Treffen führt. Ebenso hätten die gegenwärtigen geopolitischen Spannungen die Unsicherheit verstärkt und in Folge die Konjunktur abgebremst.

„2023 wurden in Westeuropa so viele Insolvenzen gezählt wie zuletzt 2016. Die verschärften Finanzierungsbedingungen strapazieren die Reserven der Unternehmen deutlich. Die Zentralbank (EZB) dämpfte mit Zinserhöhungen die Inflation, aber auch Konsum und Investitionen. So konnten die Unternehmen kaum Erträge erwirtschaften.“ Auch in Osteuropa stiegen die Insolvenzzahlen, wobei vor allem Ungarn für den Anstieg verantwortlich war. „Nach einer leichten Erholung der Gewinne im Vorjahr scheint die positive Entwicklung schon wieder vorüber“, erläutert Hantzsch. „Die anhaltend schlechte Ertragslage ist Gift für die Unternehmensstabilität. Die Insolvenzzahlen dürften dadurch weiter in die Höhe getrieben werden.“

Mittelfristig sieht die Creditreform keine Entspannung der Lage. Vor allem die schwache Ertragslage belastet die Wirtschaft nach wie vor: „Nach einer leichten Erholung der Gewinne im Vorjahr, scheint die positive Entwicklung schon wieder vorüber“, erläutert Hantzsch. Eine zunehmende Zahl von Unternehmen hat im Jahr 2022 Verluste erwirtschaftet oder lediglich sehr niedrige Gewinnmargen erzielt. Demnach wiesen 21,5 Prozent der Unternehmen ein negatives EBIT auf (2021: 21,3 Prozent) und weiteren 25,9 Prozent der Unternehmen (2021: 24,9 Prozent) blieb unter dem Strich lediglich eine Gewinnmarge von weniger als 5 Prozent. Nur für 18,8 Prozent der Unternehmen sei 2022 eine sehr hohe Gewinnmarge von über 25 Prozent erzielt worden.

Dem gegenüber seien die Eigenkapitalquoten im Jahr 2022 angestiegen. Fast jedes zweite Unternehmen, nämlich 48,3 Prozent, wies eine Eigenkapitalquote von über 50 Prozent auf, im Vergleich zu 47,2 Prozent im Vorjahr. Gleichzeitig verzeichneten noch 21,4 Prozent der Firmen eine schwache Eigenkapitalquote von weniger als 10 Prozent, im Vorjahr waren es 22,0 Prozent. Experten zufolge leiden derzeit weniger Unternehmen unter Eigenkapitalschwäche als vor 10 Jahren. Dies ist auf die steigenden Eigenkapitalquoten zurückzuführen, da Fremdkapital aufgrund hoher Zinsen unattraktiv geworden ist. Obwohl dies zunächst positiv erscheinen mag, warnt Patrik-Ludwig Hantzsch von der Creditreform Wirtschaftsforschung, dass die anhaltend schlechte Ertragslage eine Bedrohung für die Unternehmensstabilität darstellt und die Insolvenzzahlen voraussichtlich weiter steigen werden.

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