Bangemachen gilt nicht

Kohlmarkt Wien - Foto:© Oesterreich Werbung Harald Eisenberger

Die heimische Wirtschaft soll 2022 überdurchschnittlich wachsen ­– den Unsicherheiten rund um Corona und Omikron zum Trotz.

Wie jedes Jahr gilt auch heuer: Österreich ist alles andere als eine Insel der Seligen und wird stark von den internationalen Wirtschaftsverflechtungen beeinflusst, aufgrund seines hohen Exportanteils sogar in besonderem Maße. Wie sieht also die globale Entwicklung aus?

Überwiegend optimistisch
Fast müßig zu erwähnen ist, dass das Corona-Gespenst mit seinen schwer berechenbaren Varianten noch lange nicht ausgespukt hat. Deshalb herrscht auch eine hohe Prognoseunsicherheit, wobei aber unter Marktbeobachtern und Ökonomen leichter Optimismus dominiert. So meint Till Christian Budelmann, Chief Investment Officer bei der Schweizer Privatbank Bergos, dass die globale Konjunktur 2022 wieder „ordentlich“ anziehen sollte: „Wir erwarten mit über 3,5 Prozent eine Zahl leicht über dem Trendwachstum.“

Nach Bergos-Prognosen tragen dazu die Eurozone und Großbritannien mit einem Anstieg von fünf Prozent, die USA mit knapp vier Prozent maßgeblich bei. Der durch die Corona-Maßnahmen bedingte Einbruch der weltweiten Wirtschaftsleistung um 3,1 Prozent im Jahr 2020 erscheint durch die Entwicklung des Vorjahrs bereits ausgeglichen.

Auffällig ist, dass der Großteil der Analysen einen ähnlich positiven Grundton trägt. Die OECD rechnet 2022 sogar mit einem globalen BIP-Wachstum von 4,5 Prozent, nächstes Jahr sollen es dann 3,2 Prozent werden. Für die Eurozone werden 4,3 bzw. 2,5 Prozent plus prognostiziert. Nach „Corona-Aufholeffekten“ (aufgelöster Konsumstau, Re-Opening der Service- und Tourismusindustrie etc.) im heurigen Jahr sollte die Wirtschaft also wieder in den Modus „back to normal“ umschwenken.

Parlament - Foto:© Oesterreich Werbung Julius Silver
Parlament – Foto:© Oesterreich Werbung Julius Silver

„Lüfterl“ wird zu Gegenwind
Was bedeuten diese Rahmenbedingungen nun für die Alpenrepublik? Gerhard Winzer, Chefökonom der Erste Asset Management (EAM), sagt dazu: „2021 ist die Wirtschaft in Österreich wie in vielen anderen Teilen der Welt weitaus stärker als erwartet gewachsen. Innerhalb der ersten sechs Monate wurden die Konjunkturprognosen immer wieder nach oben revidiert. Österreichs Wirtschaft hat dabei auch im internationalen Vergleich im zweiten und dritten Quartal überdurchschnittlich zugelegt und sich sehr stark entwickelt. Das vierte Quartal fällt coronabedingt schwächer aus.“ Aus einem „Lüfterl“ im Frühjahr 2021 haben sich nämlich ökonomische Gegenwinde aufgebaut, die jetzt ebenfalls heftiger als geglaubt ausfallen.

Das Leben bleibt teuer
Das beherrschende Thema ist dabei derzeit zweifellos die Inflation. Winzer meint im Gespräch mit „Austria Europe’s Heart“: „Sie hat im Jahresabstand über den Erwartungen zugelegt. Ich glaube nicht, dass die Inflation jetzt immer weiter anziehen wird, die Dynamik wird nachlassen, denn die Pandemie sollte als Treiber an Kraft verlieren. Das Preisniveau wird aber auch nicht abfallen. Kurzum: So günstig wie vor Corona wird das Leben nicht mehr.“ Der massive Preisauftrieb sei laut EAM vor allem auf Engpässe bei Rohstoffen, Halbleitern und Transportkosten zurückzuführen. Diese Sondersituationen sollten sich im ersten Halbjahr 2022 weitgehend auflösen.

Das WIFO beschreibt die Situation ähnlich: „Der starke Preisauftrieb an den internationalen Gütermärkten, die Rücknahme der Mehrwertsteuersenkung in den von der Covid-19-Krise besonders betroffenen Branchen und die CO2-Bepreisung bewirken einen Anstieg der Inflationsrate in Österreich auf 3,1 Prozent im Jahr 2022.“ Die Experten schätzen die höhere Inflation 2021/22 allerdings als überwiegend vorübergehend ein. In den Jahren 2023 bis 2026 wird mit einem durchschnittlichen jährlichen Anstieg der Verbraucherpreise um 2,1 Prozent gerechnet.

Schreckgespenst Stagflation
Die WIFO-Einschätzung trifft auch den überwiegenden Teil der vorherrschenden Marktmeinung sowie der wesentlichen Notenbanken: Sie gehen davon aus, dass die Inflation zwar nicht verschwinden, sich aber im Rahmen halten und nicht zur viel gefürchteten Stagflation heranwachsen wird. Dieses Phänomen wird als eine Phase hoher Teuerung definiert, die mit schleppendem Wirtschaftswachstum und hoher Arbeitslosigkeit einhergeht. Im schlimmsten Fall könne Stagflation auch Inflation in Verbindung mit einem Rückgang des BIP bedeuten. Die meisten Experten halten solche Negativszenarien allerdings für unwahrscheinlich. Obwohl die Gefahr der Stagflation im Auge behalten werden muss, sollte uns dieses Schreckgespenst hoffentlich erspart bleiben.

Solides Wachstum erwartet
Gehen wir also mit gutem Grund davon aus, dass die Weltwirtschaft ihren Wachstumskurs bei moderaten Inflationszahlen beibehält. Winzer von der EAM kommentiert: „Was das große Bild betrifft, befinden wir uns im Wirtschaftszyklus in der Phase der Erholung, wobei Österreich 2022 die Chance hat, im internationalen Vergleich überdurchschnittlich zu wachsen.“ Denn Österreich ist eine sogenannte „High Beta Economy“. Soll heißen, dass sie auf Ausschläge des globalen konjunkturellen Umfelds nach oben und unten sensibel reagiert. Das hat Vor- und Nachteile. Winzer: „Durch den hohen Exportanteil, die Bedeutung des Tourismus sowie des gesamten Servicebereichs unserer Wirtschaft wurde sie durch Corona besonders stark getroffen. Deshalb sollte sie aber auch überdurchschnittlich profitieren, wenn man die Pandemie in den Griff bekommen hat.“

Aber nicht nur der so wichtige heimische Servicesektor wird reüssieren. Der EAM-Experte zeigt sich zuversichtlich: „2022 sollten die Güter- und Logistikengpässe graduell abnehmen und die leeren Lager müssen wieder gefüllt werden, hier besteht unglaublicher Aufholbedarf. Deshalb wird die Produktion rund um den Globus steigen, die heimische Industrie wird dann durch ihren wiederum hohen Exportanteil besonders profitieren. Alles in allem bin ich für unsere offene Volkswirtschaft also optimistisch; wenn sich die Gegenwinde legen, sollte sich das in starken rot-weiß-roten Wachstumsraten niederschlagen.“ Dazu passen die BIP-Prognosen der OECD: Demnach soll das heimische BIP heuer um 4,6 und nächstes Jahr um 2,5 Prozent zulegen.

Steuerreform als Turbo?
Auf volkswirtschaftlicher Ebene ist natürlich auch ein Blick auf die groß angekündigte Steuerreform zu werfen. Allerdings werden einige ihrer Aspekte erst nach und nach schlagend. Ein augenscheinliches Merkmal ist, dass die zweite Tarifstufe der Einkommenssteuer von 35 auf 30 Prozent abgesenkt wird. Das aber erst ab 1. Juli 2022, was die Übersichtlichkeit nicht gerade erhöht. Im Gegenteil: Durch die unterschiedlichen zwei Tarife innerhalb eines Jahres wird die Berechnung erschwert, was sogar versierte Steuerberater zu einem verständnislosen Kopfschütteln verleitet. Nichtsdestotrotz werden Herr und Frau Österreicher die Steuerreform positiv im Portemonnaie spüren. So erfolgt eine gestaffelte Senkung der Krankenversicherungsbeiträge um bis zu 1,7 Prozentpunkte für Arbeitnehmer. Dieser Schritt führt bis 2025 immerhin zu einer Entlastung von rund 1,2 Milliarden Euro. Im Vergleich zur Einkommenssteuersenkung, die eine Entlastung von in Summe circa 3,5 Milliarden ausmacht, ist das kein unbedeutendes Volumen.

Weiters hat sich die Steuerreform das Thema Nachhaltigkeit ganz groß auf die Fahnen geheftet. Wobei es aber bei der angekündigten Bepreisung von Treibhausgasen noch Nachbesserungsbedarf geben dürfte. Natürlich existiert hier kein in Stein gemeißelter, absolut richtiger Weg. Der Einstiegspreis sollte laut Experten aber jedenfalls über den für Österreich geplanten dreißig Euro pro Tonne CO2-Emissionen liegen und sich schneller an den für 2025 vorgesehenen Wert von 55 Euro annähern. Zum Vergleich: Der europäische CO2-Preis liegt derzeit bei etwa sechzig Euro, und es ist zu erwarten, dass er weiter steigen wird.

Fassen wir kurz zusammen: Die Steuerreform bringt Erleichterungen für Arbeitnehmer und Unternehmen. Immense Wachstumsimpulse wird sie aber nicht setzen, vor allem weil die kalte Progression schon im Vorfeld viel Kaufkraft „weggeknabbert“ hat. Eine automatische Anpassung der Steuertarife an die Inflationsrate, wie sie von vielen Ökonomen schon längst gefordert wird, könnte hier Abhilfe schaffen. Dieser Vorschlag verschwindet allerdings seit Jahr und Tag in den Untiefen der Politik.

Vorzugsschüler?

Schwenken wir zum Abschluss nochmals zum Thema Nachhaltigkeit. Hier hat sich Österreich nicht nur aufgrund des vorteilhaften Energie-Mixes ein gutes Image erarbeitet: Rund 80 Prozent der gesamten Stromerzeugung entspringen erneuerbaren Quellen, wobei auf Wasserkraft der Löwenanteil fällt. Und es kommt noch besser: Laut dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz soll der gesamte heimische Strombedarf bis 2030 zu 100 Prozent durch regenerative Energie gedeckt werden können. Gut so, das soll aber auch nicht vor Kritik schützen. Der Climate Change Performance Index von Germanwatch bewertet 64 Staaten auf ihre Fortschritte in Sachen Klimaschutz. Bei der letztjährigen Auswertung fiel Österreich um einen Platz auf Rang 36 zurück und rangiert damit unter den „Low Performern“.

Was lernen wir daraus? Auch ein Vorzugsschüler darf sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. Österreich kann aber mit seinen in der Nachhaltigkeitsszene gut etablierten Unternehmen mutig in die neuen Zeiten blicken, denn Umweltschutz und der Kampf gegen den Klimawandel bleiben übergeordnete Megatrends. Daran kann auch keine Pandemie rütteln.

Die mobile Version verlassen