EU-Notfallinstrument: Europe first?

© ÖBB RCG David Payr

Die EU will künftig Engpässe vermeiden und mit dem Single Market Emergency Instrument (SMEI), ein Notfallinstrument für den Binnenmarkt installieren. © ÖBB RCG David Payr

Covid war gerade noch, Inflation und Gaskrise sind. In diese Gemengelage hinein präsentiert die Europäische Kommission einen Vorschlag, der aufhorchen lässt: Mit dem Single Market Emergency Instrument (SMEI), einem Notfallinstrument für den Binnenmarkt, verabschiedet man sich mit Blick auf die auch für die Bauwirtschaft wichtigen Lieferketten bis zu einem gewissen Grad von bisherigen handelspolitischen Grundsätzen.

Kein Zweifel: Die vergangenen zwei Jahre waren voller Herausforderungen, an denen und deren Folgen die Weltwirtschaft noch lange knabbern wird. Es würde aber zu kurz greifen, das SMEI dem allein zuzuordnen – immerhin beruft sich das Konzept letztlich auf die Industriestrategie von 2020, wenn auch in deren aktualisierter Fassung. Die Vermutung, dass die Grundgedanken für das Instrument also eine indirekte Folge der „America first“-Ideen von Donald Trump sind, wäre psychologisch vielleicht nachvollziehbar. Klar ist aber, dass die Arbeiten am SMEI in der globalen Pandemie von 2020 und 2021 so richtig hochgefahren sind.

Inhaltlich soll das Instrument eine Lösung für die speziell in den Lockdowns beobachteten Lieferthemen, wozu auch Engpässe bei wichtigen Baustoffen gehörten, sein und so die Verfügbarkeit und den freien Verkehr von Waren, Personen und Dienstleistungen gewährleisten. Dementsprechend soll es neben Gesundheitskrisen auch bei Naturkatastrophen, Terrorismus und humanitären Krisen zur Anwendung gelangen und mit Krisenvorsorge und Krisenbewältigung zwei Säulen umfassen.

Kern ist eine Liste von Gütern und Dienstleistungen, die als krisenrelevant eingestuft werden – und zwar für das Herzstück der EU, den Binnenmarkt. Die Kommission soll im Weiteren diese strategischen Güter besonders im Auge behalten und gegebenenfalls die relevanten nationalen oder regionalen Behörden anweisen, Notfallreserven anlegen. Dies soll auf Basis eines ausgeklügelten Informations- und Evaluierungsmechanismus geschehen. Nicht unproblematisch ist, dass Unternehmen in der Notfallstufe zu einer Umstellung der Produktion gezwungen werden und Exporte außerhalb der EU untersagt werden können. Gleichzeitig soll es bei Einreisebeschränkungen, etwa während einer erneuten Gesundheitskrise, praktikable Sonderregeln für Grenzpendler und Geschäftsleute geben.

Dabei handelt es sich durchaus um eine starke Abkehr von bisherigen EU-Handelspraktiken, wo vor allem Verlässlichkeit der Lieferketten eine Rolle spielte. Diese Verlässlichkeit sieht man nun anders: Die Erfahrung, dass die USA und Asien in der Pandemie teils Lieferungen eingestellt oder verzögert haben und dass Lockdowns die Lieferkette als solche unterbrochen haben ist ein Teil des Erfahrungshorizonts. Europa hat auch in diesen Zeiten exportiert, aber Importe nicht erhalten. Das hat teils zu Engpässen geführt, die man künftig vermeiden will – ebenso Mängel bei Pflege- und Erntepersonal sowie Saisonarbeit in der Bauwirtschaft, wie es während der Lockdowns auftrat.

Kurt Müller

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